Kurzgeschichte – Der Eispickel

Die folgende Kurzgeschichte habe ich für einen Wettbewerb geschrieben, Bedingung war, dass die Geschichte mit dem Satz „Wenn das rauskommt, haben wir ziemlich große Probleme“ beginnt. Viel Spaß!


Der Eispickel

»Wenn das rauskommt, haben wir ziemlich große Probleme!«
Johnny lies den Metallstuhl sinken, den er bis dahin abwehrend vor dem Körper gehalten hatte. Auf die Labortüre deutend, die sie gemeinsam verschlossen hatten, sah er Gerrit fragend an. »Das mag ja sein, aber sag’ uns lieber was das ist…«
Gerrit blickte verwirrt zurück. »Keine Ahnung.« Alle Drei schraken zusammen, als die Kreatur sich gegen die Labortüre warf und den ganzen Container zum Wanken brachte.
»Wo ist Schulz?«, Kunal stellte den dünnen Aluminiumtisch hin, mit dem er noch Augenblicke zuvor das Wesen von seinen Kollegen ferngehalten hatte.
Lärm von zerbrechendem Glas und umstürzenden Möbeln drang dumpf aus dem Labor.
»Der arme Schulz… dieses… Ding hat ihn erschlagen. Ich würde wetten es hat sich auch Dr. Sussman geschnappt.«, Gerrit ließ sich auf dem nächsten Stuhl nieder und begann sich die dicken Wintersachen auszuziehen.
Erneut schlug das Ungeheuer gegen die Türe, mehrfach. Kunal wollte zum Schlüsselloch gehen und begann den Kopf zu senken. »Halt!«, rief Gerrit unvermittelt.
»Was ist? Die Türe ist sicher, es kann nicht hinaus.«
»Das Vieh hat versucht, Schulz und mich zu verwirren. Es kann irgendwie Gehirnwellen manipulieren.«
Johnny sah seinen langjährigen Kollegen Dr. Gerrit Parson eindringlich an. Sechs Jahre waren sie bereits Angestellte des biologischen Instituts der Longbow University, wohnten seit fünf Jahren im gleichen Apartment. »Redest du da von Telepathie?« Derart unsachlich hatte er ihn noch nie erlebt.
»Nenn es wie du willst, Johnny, aber dieses Alien hat meine Gedanken kontrolliert. Es hat mich angesehen und ich war nicht mehr Herr meines Willens.«

Kunal setzte sich vor Gerrit und packte ihn an beiden Armen. »Was genau ist da draußen passiert?«
»Schulz hat etwas im Eis gesehen, einen Schatten, im Quadranten 18K. Wir haben den Bohrkopf ausgerichtet und Schulz hat sich langsam ’ran getastet. Es war eine Art Stahlgehäuse, wie ein kleines Raumschiff. Dann tauchte plötzlich… das Ding war einfach zwischen uns. Es stieß mich zur Seite, dann konnte ich erst Schulzes Gedanken hören, danach etwas, dass ich für seine Gedanken halte.«, dabei zeigte Gerrit auf die Labortüre, hinter der sich das Wesen weiter gegen Wände warf und die Einrichtung demolierte. »Es hat sich dann auf Schulz gestürzt, hat seine Tentakel um seinen Hals geschlungen und ich bin um mein Leben gerannt. Ich konnte es hören, wie es hinter mir herkam. So schnell ich konnte bin ich hierher zurück…«
Johnny versuchte sich an das Geschöpf zu erinnern. Alles war so hektisch, sie waren so überrumpelt gewesen. Das Wesen war menschengroß und erinnerte an einen schwarzen, haarlosen Bären mit Tentakeln anstelle von Armen. Eine abscheuliche Kreatur.
Kunal sprang auf. »Aber, dann lebt Simon vielleicht noch! Wir müssen zu ihm, vielleicht können wir ihn noch retten. Schnell!«
Hektisch griff Gerrit nach ihm. »Nein! Nein, keine Chance. Das Letzte was ich von ihm gesehen hab’, war wie ihm das Alien den Hals aufgerissen hat. Da… da ist nichts mehr zu machen.«
Johnny konnte sehen, wie an Kunals Hals eine Ader dick hervortrat.
»Woher willst du das wissen? Du bist Biologe und kein Arzt!«, seine Stimme bekam einen weinerlichen, verzweifelten Klang während der kleine Archäologe den sitzenden Gerrit zu schütteln begann. Johnny zog seinen Freund zurück.
»Beruhig’ dich, Kunal. Wir können nichts für Schulz tun. Du hast selbst gesehen, wie dieses Geschöpf ausgerastet ist. Das hätte uns genauso erwischen können.«
Kunal brach schluchzend zusammen, Johnny hatte Mühe ihn zu stützen. Er bugsierte den jungen Inder zum nächsten Stuhl und setzte ihn nieder.
»Das ist wie in einem schlechten Horrorfilm. Ich will nicht in der dämlichen Antarktis von einem Alien gefressen werden!«, Kunal sah flehend zu Johnny hinauf. Das Monster lies erneut die Forschungsstation wackeln.
»Keine Sorge, wir sind sicher. Und ich geh’ jetzt Hilfe anfunken. Gerrit? Pass’ bitte auf Kunal auf.«
Mit überfordertem Blick nickte Gerrit Johnny zu, während dieser sich zur Funkanlage aufmachte.

»Mawson Station, bitte kommen. Hier spricht Doktor Johnny Nal von der Forschungsstation Komnat Vier.«
»…shhh…shhh…«
»Mawson Station, bitte kommen.«
»Hier…shhshh…son Stat…die Verbind…shh…kommen, Doktor…«
Hektisch hantierte Johnny an den Einstellungen, versuchte den Empfang zu stabilisieren.
»Wir brauchen dringend Hilfe. Ich wiederhole, wir brauchen dringend Hilfe. Es gibt Verletzte…«
»Bitte…shh…holen, Doktor…shhh…«
Jetzt schrie der Biologe in das Mikrophon, als könnte eine laute Stimme leichter durch den Aether fliegen. »Wir brauchen sofort Hilfe! Hilfe! Hilfe, verdammt!«
»Schicken…shh…ihm. Wied…shhh…ein Team. Sechs…shh…unden…shhh…stätigen sie.«
»Endlich! Station Komnat bestätigt, Notfallteam unterwegs. Wiederhole, Notfallteam unterwegs, erwarten Ankunft in sechs Stunden. Wiederhole, sechs Stunden!«
Sechs Stunden konnten lang werden. Er sah auf seinen linken Arm, der Ärmel war an ein paar Stellen aufgerissen. Blutige, kreisrunde Wunden zierten seinen Bizeps.

Als Johnny zurück in den Vorraum kam, saß nur Kunal noch immer auf seinem Stuhl.
»Wo ist Gerrit?«
Der Gesichtsausdruck seines Freundes war müde, erschöpft. »Er ist… er ist wieder raus. Er sagte, er würde doch nochmal nach Simon sehen.«
Johnny nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu Kunal. »Wie geht’s dir?«, dabei legte er seine Hand auf das Knie seines Freundes.
»Ich weiß nicht Jo. Da ist ein Monster in meinem Labor, es hat Simon und wahrscheinlich Sussman umgebracht. Und jetzt ist es seit fünf Minuten völlig ruhig da drin’.«
Es stimmte, jetzt bemerkte es auch Johnny. Hatte sich das Vieh beruhigt oder war es irgendwie entkommen?
»Wie soll ich mich da fühlen?«, sprach Kunal nach einer kurzen Pause weiter. »Ich fühle mich… durcheinander.«
Johnny stand auf und ging zur stählernen Türe, die sie von dem unbekannten Wesen trennte. Als er sein Ohr anlehnte konnte er leise Geräusche hören. Die Kreatur lief umher, streifte langsam durch den Raum. Dann kam es näher. Plötzlich hörte Johnny ein lautes plopp-Geräusch, direkt an seinem Ohr. Er schrak zurück. Hatte das Alien seine Anwesenheit gespürt? Die Wunde an seinem Oberarm schmerzte mit einem Male stärker.

Nach fünf weiteren Minuten war Gerrit noch immer nicht da. Johnny sah, dass Kunals Bein zuckte. Seine Hände fuhren immer wieder zueinander und über die Oberschenkel.
»Wo bleibt Gerrit bloß?«
Johnny seufzte »Ich weiß es doch auch nicht. Aber wenn Simon doch noch lebt, braucht er vielleicht Hilfe.« Wie ihm dieser Gedanke so lange ausgeblieben war, ein Rätsel.
»Ich geh ihm helfen!«, er sprang auf und spurtete zu seinen Outdoor-Sachen.
»Ich komme mit!«, warf Kunal hinterher.
»Nein, du stehst unter Schock. Bleib hier und achte darauf, dass die Kreatur nicht entkommt.«, Johnny gestikulierte mit der Hand, während er versuchte sich die warme Hose anzuziehen. Zu seiner Erleichterung blieb Kunal sitzen.

Draußen fegte ein schneidender, eisiger Wind. Immerhin war die Sicht klar. Johnny beeilte sich durch den Schnee zu waten, der Quadrant zu dem er musste, lag nicht weit entfernt. Die frostigen Eiskristalle knirschten unter seinen Schritten, und mit jedem Einsinken spürte er einen pochenden Schmerz durch seinen Arm ziehen.
Bald sah er die massive Bohrmaschine, mit der Gerrit und Schulz das Loch gegraben hatten. Werkzeuge und kleine Markierfähnchen lagen umher, doch von Gerrit keine Spur. Erst als er nah genug war, konnte er Geräusche hören. Sie kamen aus dem Loch.
»Gerrit, bist du da unten?«
Das Geräusch einer Schaufel, die in Eis gerammt wird, war zu hören. Dann erschien Gerrits Kopf.
»Er… er war schon tot. Wie ich gesagt habe. Ich habe ihn… beerdigt.«, die Aussage ließ Johnny unvermittelt eine Braue hochziehen.
»Kunal und ich haben uns Sorgen gemacht.«
Gerrit lächelte. Johnny kam es gekünstelt vor. »Es ehrt mich, dass Doktor Singh und du, dass ihr an mich denkt. Komm, gehen wir zurück.«
Etwas an Gerrits Gang war seltsam, irgendwie ungelenk. Vielleicht war er auch verletzt worden?

Als sie wenig später die Schleusentüre zur Forschungsstation öffneten, ging Gerrit voran. An der Ecke blieb er abrupt stehen, verharrte mitten in der Bewegung. Und starrte in den Vorraum.
»Kunal, was hast du…«
Johnny schoss Adrenalin durch die Adern. Aufgeregt stürmte er zu seinem Kollegen und sah mit Schrecken, dass Kunal neben dem Alien stand. Es sah kleiner aus als in seiner Erinnerung und hatte ein Tentakel um den Archäologen gelegt. Johnnys Arm pulsierte.
»Kunal, wieso…«
»Er war es!«, schrie der junge Forscher. »Johnny hör zu, es war Gerrit, Gerrit hat Schulz getötet. Und Dr. Sussman auch!«
»Was erzählst du…«, weiter kam Johnny nicht. Der hochgewachsene Gerrit stand unvermittelt hinter ihm, hielt einen blutverschmierten Eispickel unter seinen Hals, ritzte mit der Spitze in seine Haut. Ein feines Rinnsal warmen Blutes lief herab.
»Das Alien ist schuld! Das… die… es hat Schulz alles gezeigt! Alle Erinnerungen! Was sollte ich wohl tun? Ich wäre erledigt gewesen, wenn… ich musste ihn auch töten. Und das ich Sussman erschlagen habe, war nicht meine Schuld. Der Verrückte hat mich mit seinen wahnsinnigen Vorstellungen und seiner sturen Art förmlich dazu getrieben!«
Während Gerrit brüllte und jammerte, hatte sich das Alien von Kunal gelöst und war langsam näher gekommen. Mit jedem Schritt schien es größer zu werden.
»Warum hast du das Vieh ’raus gelassen, Kunal? Wir hätten das alles vergessen können, Schulz würde noch leben, wenn dieses…«
Dann hörte Johnny das Alien. Es war keine Stimme, viel mehr waren die Worte direkt in seinem Kopf. Der Reaktion von Kunal und Gerrit nach zu urteilen, erfuhren sie das Gleiche.
»Du hast mich angegriffen, du hast mich verletzt.«, das Alien rannte los, die Tentakel erhoben und wollte offenbar Gerrit angreifen. Doch der erste Schlag traf Johnny, der zwischen den Beiden stand. Gleichzeitig riss Gerrit den Eispickel hoch und weitete dabei die kleine Wunde zu einem breiten Schnitt an Johnnys Kehle. Er kippte zur Seite, konnte sehen wie Gerrit mit aufgerissenen Augen seine Waffe gegen das Alien einsetzte, während sich Tentakel um den Hals des durchgedrehten Mörders schlangen. Das Letzte was er hörte, bevor er das Bewusstsein verlor, waren Worte aus dem Verstand der Kreatur.
»Dafür büßt ihr alle

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