Das Biest – Die Asche Legion Teil VII

Das Biest

Jetzt bin ich an der Reihe? Tja, also, ich bin nicht so klug wie Lucius hier und so weit gereist wie Atreus bin ich auch nicht. Aber ich fang einfach mal an.

Geboren bin ich im Stamm der Katazenen am Südrand der Wüste Rahera. Meine Mutter hat mir immer erzählt, dass ich das größte Baby war, das jemals im Stamm geboren wurde. Darum hat sie mich Kubwa genannt, was in der Sprache der Alten »Fels« bedeutet.

Welche Alten das sind? Kann ich Dir nicht sagen, meine Mutter hat es mir erzählt. Ich glaube, dass die Vorfahren der Katazenen eine andere Sprache hatten, bevor das Kaiserreich sich ausgebreitet hat. Aber die Katazenen waren nicht etwa Teil des Reiches. Doch der Handel und die Präsenz des übermächtigen Nachbarn haben ihre Spuren hinterlassen.

Wie meinen Vater wollte man mich zum Jäger für den Stamm ausbilden. Begleitet habe ich ihn zum ersten Mal, da war ich sieben Jahre alt und ging ihm bereits bis zur Schulter. Wir trieben eine Antilopenherde in die Enge, ich half beim Treiben, während andere mit Wurfspeeren irgendwo warteten. Manche der Tiere schienen die Falle zu wittern und versuchten kehrt zu machen, an uns vorbei zu kommen.

Da hatte ich meinen ersten Rausch.

Ich kann mich an nichts erinnern, ich weiß nur, dass plötzlich alles schwarz wurde. Als ich wieder zu mir kam, hielt mich ein Vetter im Arm. Alle waren in Aufregung, mein Vater hatte eine ausgekugelte Schulter und einige Schritt entfernt lag eine tote Antilope.

Sie haben gesagt, ich hätte einen Anfall gehabt. Zusammengeklappt, auf dem Boden zitternd gelegen und gesabbert soll ich haben. Nach ein paar Momenten bin ich aufgesprungen, wie der Blitz hinter einer Antilope her und hab mich auf sie gestürzt. Mit einem kräftigen Ruck soll ich den Hals des Tiers verdreht haben. Mein Vater hat versucht mich zu beruhigen, mich festzuhalten, aber ich habe mich gegen ihn gestemmt, ihm die Schulter verdreht. Und ausgekugelt.

Als wir zurück im Dorf waren, wurden die Weisen befragt. Ich war noch ein Kind, ich habe das meiste nicht verstanden und sie haben mich von den hitzigen Diskussionen ferngehalten. Manche beschuldigten mich, von Dämonen besessen zu sein. Andere fürchteten eine ansteckende Krankheit. Mein eigener Vater, bestimmt noch wegen der Schmerzen, sprach sich dafür aus, mich des Dorfes zu verweisen.

Am Schluss entschieden die Weisen, dass ich bleiben durfte. Man stellte eine Regel auf, die besagte, wenn ich noch einmal in einen Anfall gerate, sollten sich alle von mir fern halten.

Warum sie mich wirklich behalten haben, erfuhr ich nie. Meine Mutter hat immer gesagt, sie könnten doch ihren Fels nicht wegschicken.

In den folgenden Jahren hatte ich bei der Jagd noch einige Male den Rausch. Jedes Mal war es das gleiche Bild. Ich konnte mich an nichts erinnern, mein Körper handelte von selbst, und tötete mit bloßen Händen Eber, Tronken und Kamele.

Du kennst keine Kamele? Ja, die gibt es hier nirgendwo. Das sind große Huftiere mit seltsamen Hügeln auf dem Rücken. Ein bisschen wie hässliche, unförmige Kühe.

Was, Tronken kennst Du auch nicht? Ein Tronk ist etwas größer als eine Wildsau, aber mit Schuppen. Sie haben einen dreieckigen Kopf der auf einem langen Hals sitzt und einen Schwanz mit einer dreieckigen Keule. Wenn Du nicht aufpasst, weißt Du nicht welches Ende Du vor Dir hast. Die Männchen haben eine ganz auffällige Färbung an Bauch und Rücken, mit blau und rot, die Weibchen sind einfach grau. Harmlos, aber wehrhaft.

Ich würde älter und war bald über jeden Mann im Stamm hinaus gewachsen. Und es sah nicht aus, als würde ich bald damit aufhören. Meine Jagderfolge wurden größer und mein Ansehen im Stamm nahm zu, trotz der Bedenken wegen meiner Anfälle. Aber nach der Schulter meines Vaters hatte ich bei keiner Jagd einen Menschen verletzt. Das beruhigte die meisten.

Die Sache änderte sich, als es zum Streit mit einem anderen Stamm kam. Tononka oder Tononki, ich bin nicht mehr sicher. Eigentlich lebten die Stämme in diesem Teil der Wüste sehr friedlich miteinander. Die Kaisertruppen kamen nicht zu uns. Es gab nichts zu holen, aber viel für sie zu verlieren im Sand. Das Gebiet der Tononkai…

Stimmt, Tononkai war der Name!

Also, das Gebiet der Tononkai lag anders. Jahre lang war das Kaiserreich auch an ihnen nicht interessiert gewesen, doch etwas musste sich geändert haben. Als die Tononkai ihr Stammesgebiet verloren, zogen sie tiefer in die Wüste. Und damit näher an uns.

Immer noch jung, wollte man mich nicht zu den Verhandlungen mitnehmen. Aber als die Tononkai eine unserer Frauen entführten, war klar, dass wir einschreiten mussten. Zusammen mit den anderen Jägern bin ich zum Lager der Feinde aufgebrochen, bewaffnet wie immer mit Wurfspeeren. Notfalls wollten wir ein Exempel statuieren.

Die Tononkai hatten ihre Hütten an einer Hügelkette aufgebaut und ihre Späher sahen uns von weitem. Sie begrüßten uns vor der Grenze ihres Lagers mit gezogenen Schwertern und Bögen. Ich weiß nicht mehr was wir brüllten oder sie riefen. Irgendwann flog der erste Speer in ihre Richtung. Dann war es wieder dunkel.

Als ich zu mir kam, war schon die Nacht herein gebrochen. Mein Körper schmerzte und ich bemerkte schnell die Wunden von Schwerthieben und ein Pfeil steckte in meiner Wade. Um mich herum lagen Tote. Viele Tote. Lebend sah ich nur zwei von unseren Jägern. Sie saßen einige Schritt entfernt, hatten sich nicht getraut mich zu wecken oder meine Wunden zu versorgen, auch nachdem der Rausch geendet hatte.

Sie erzählten mir, dass ich die Feinde trotz ihrer überlegenen Waffen fast im Alleingang besiegt hatte. Einige der Tononkai waren geflohen, andere wollten sich ergeben, aber im Rausch kannte ich kein Erbarmen. Drei unserer Männer hatten sie getötet, mein Vater selbst wurde verwundet. Die meisten unserer Männer waren zurück zu unserem Dorf, hatten die Toten mitgenommen und sollten von den Ereignissen berichten.

Der Vorfall sprach sich herum. Bald trafen Männer und Frauen von den verschiedensten Stämmen bei uns ein, brachten Geschenke und baten darum, dass man sie vor mir verschonen möge. Die Weisen lehnten immer die Hälfte der Geschenke ab, ein Brauch der Völker der Wüste, und bestätigten allen Stämmen, dass wir nicht planten, sie zu vernichten. Alle waren davon überzeugt, ich wäre ein Monster und könnte das im Alleingang tun, wenn ich nur wollte.

In den kommenden Jahren wuchs das Ansehen unseres Stammes beträchtlich. Man machte mich bald zum Führer der Jagd und es ging uns lange Zeit sehr gut. Ich muss ungefähr dreißig gewesen sein, als uns der Stamm Zaori ein Hilfegesuch zukommen ließ. Die Sandriesen aus dem Wüstenkern übten Druck auf die Zaori aus, verlangten Tribute und kündigten alte Handelsverträge um die durch neue, für die Riesen bessere, zu ersetzen.

Sandriesen gehören zu den kleineren Riesenarten, sind selbst ausgewachsen nicht mehr als vier Schritt groß. Das macht sie im Kampf noch immer fürchterliche Gegner gegenüber Menschen, aber es sind auch keine gigantischen Steinriesen oder Bergriesen. In der Wüste Rahera lebte zu der Zeit ein einziger Stamm, sie hielten sich fast ausschließlich im Zentrum auf und handelten mit den nahen Menschenstämmen schon seit langer Zeit.

Die Weisen der Katazenen entschieden, einige der anderen Stämme um Hilfe zu bitten und Stärke zu demonstrieren. Ein Kampf, ein Krieg sogar, hätte katastrophal enden können. Wir waren mehr, viel mehr Menschen, als es Riesen gab, aber die Sandriesen hatten mächtige Waffen, darunter schreckliche Schleudern, mit denen sie dreißig Pfund schwere Felsen hunderte von Schritt weit befördern konnten. Mit der Hand. Ziel unserer Truppe war lediglich, den Riesen die Stirn zu bieten und zur früheren Situation zurück zu kehren.

Ich zog an der Spitze von fünfhundert Männern aus, eine kleine Armee bestehend aus den Jägern und kräftigen Burschen fast aller Stämme der Wüste. Doch die Verhandlungen sollte nicht ich leiten, man schickte einen der Weisen an unserer Seite zu den Riesen. Sie empfingen uns als eine bewaffnete Gruppe von beinahe dreißig Riesen.

Man könnte meinen, unser Heer hätte Eindruck auf sie gemacht. Weit gefehlt. Die Verhandlungen des Weisen mit dem Händler der Riesen, der einzige unter ihnen, der die Sprache der Menschen gut genug beherrschte um ein Gespräch zu führen, verliefen nicht gut.

An einem Punkt sagte der Riese etwa:
»Ihr seid schwachlich, selbst kleinster Sandriese besiegt stärksten Mensch einfach so.«
Ich dachte, unser Weiser würde nicht weiter darauf eingehen. Immerhin ist er weise. Stattdessen hat er gesagt:
»Benennt ihn, euren kleinsten Mann, und unser Kubwa wird ihn besiegen. Und wenn er das tut, stimmt ihr zu, die alten Verhältnisse zu akzeptieren. Falls Kubwa verliert, zahlen wir euch die gewünschten Tribute.«
Mir fehlten die Worte und auch die Riesen fanden zunächst nur Gelächter als Antwort. Als sie sich beruhigt hatten und einwilligten, grinste mich der Weise an. »Keine Sorge, Kubwa, ich weiß, dass Du das kannst.«
Man einigte sich auf waffenlosen Nahkampf als Disziplin. Ich malte mir aus, dass der Sandriese keine Waffe brauchen würde um meine Knochen zu zerbrechen oder meinen Hals umzudrehen. Mit meiner Größe war mein Hals sogar in bequemer Höhe, der Riese würde sich nicht einmal bücken müssen.

Der Riese, ich hab seinen Namen lange vergessen, war tatsächlich klein für ihre Verhältnisse. Er ging den anderen nur bis zur Schulter, wenn überhaupt. Trotzdem war er noch einen guten Schritt größer als ich und hatte Arme wie Baumstämme. Das sagt man auch über mich, ich weiß, aber bei mir meint man junge Bäume – bei ihm waren es hundertjährige Eichen. Er schaute auf mich herunter wie Du zu einem Kind hinab sehen würdest.
Der Kampf begann auf das Signal unseres Weisen hin. Der Sandriese brüllte und wollte mit einem mächtigen Fausthieb mein Leben beenden. Er war schneller als man es vermuten würde, und ich duckte mich nur sehr knapp fort. Seine Fäuste flogen und mir blieb nur Ausweichen und Ducken. Schließlich erwischte mich sein Stiefel mit einem kraftvollen Tritt. Es war kein Volltreffer, reichte aber um mich um zu werfen und ein Stück durch den Sand zu schleudern. Ich verlor das Bewusstsein.

Als ich zu mir kam, lag der leblose Körper des Sandriesen unter mir. Der Geschmack von Metall füllte meinen Mund und meine Knöchel waren blutig. Ich dachte schon, ich hätte ihn getötet, da gab er ein Röcheln von sich. Leicht desorientiert stand ich auf und schaute in die Runde. Die Riesen starrten mich fassungslos an, der Weise unseres Stammes lächelte selig. Unser Problem war gelöst. Der Sieg brachte mir meinen Beinamen »Brenum« ein, was in der alten Sprache etwa »Riesentod« heißt. Obwohl ich ihn nicht getötet habe.

Auf dem Weg zurück begann der Weise mir immer wieder einzureden, dass es besser ist, wenn ich nie wieder mit einem der Riesen rede. Weil sie nachtragend sein könnten oder so etwas. Da ich nicht vor hatte unter die reisenden Händler zu gehen, verstand ich nicht, was er wollte.

Einige Wochen später, die Feiern zu Ehren meines Sieges waren fast vergessen, kam sie dann. Ihren Namen werde ich nie vergessen. Zakani. Eine alte Sandriesenfrau. Bereits als sie sich unserem Dorf näherte, wurde sie von unseren Wachen abgefangen. Auf Anweisung der Weisen wurde sie aufgehalten und des Dorfes verwiesen. Sie wehrte sich und es kam zum Tumult, der auch mich aufmerksam machte. Als ich mich der Dorfgrenze näherte und sie sah, rief sie meinen Namen: »Brenum! Brenum!«

Ich wollte zu ihr, doch die Weisen hielten mich auf, nannten sie Hexe.

»Aber was will sie von mir?«
»Rache vermutlich…«, haben sie gesagt. »Sie will Deinen Untergang.«

Die Situation war merkwürdig, ich verstand nicht wirklich was vor sich ging. Doch ich wollte mit der Riesin persönlich sprechen. Ich hatte kein Vertrauen in die Worte der Weisen mehr.

Sie hatten Zakani eingesperrt. Sie war nur etwa drei Schritt groß, eine Riesin, natürlich, aber man hatte ein Gefängnis für sie machen können. Nachts schlich ich mich zu ihr.

»Hallo?«, hab ich gesagt. »Warum rufst Du nach mir?«

Aus alten, ängstlichen Augen hat sie mich angesehen.
»Du Brenum? Du haben Rausch?«
Das waren ihre ersten Worte zu mir. Sie erklärte mir, mit zögerlichen Worten, dass ich eine Krankheit habe. Die Anfälle würden mich eines Tages umbringen. Zuerst wollte ich es nicht glauben. Dann erzählte sie von Riesen, die das gleiche Schicksal teilten und viel früher starben als die anderen. Sie beschrieb den Rausch den ich empfand sehr genau. Es ergab Sinn. Sie meinte, sie könnte es für mich beenden.

Und ich dachte, das klingt nach einer guten Idee. Die Warnungen der Weisen schienen mir zu vage, Zakani zu alt um gefährlich zu sein.

Sie war nicht gefährlich.

Vermutlich hat sie mir das Leben gerettet. Aber ob sie wirklich die Wahrheit gesagt hat, werde ich nie erfahren.

Sie tat nichts weiter, als ihre Hand auf meine Stirn zu legen und einige Worte in ihrer Sprache zu murmeln. Es kribbelte und ich verlor kurz das Bewusstsein. Dann sagte sie: »Rausch kann Dir nicht mehr Schmerz.«

Ich fühlte mich nicht anders. Sie ließen die Riesin schließlich laufen und ich sah sie nie wieder. Als wir das nächste Mal auf Jagd gingen, erwarteten alle meinen Anfall.

Aber Zakani hatte etwas geändert.

In dem Augenblick, in dem ich in den Kampfrausch verfiel, verlor ich nicht wie sonst mein Bewusstsein. Es änderte sich nur meine Wahrnehmung. Schwer zu beschreiben, aber im Rausch kann ich weniger sehen, als trüge ich Scheuklappen, und spüre mehr von dem, was um mich herum passiert. Ich zerriss unsere Beute bei vollem Bewusstsein, und es brach mir das Herz. Schlimmer noch, ich spürte in dem Augenblick einen Hauch, einen Hauch der Erinnerung an hunderte von Leben die ich in diesem Zustand beendet hatte. Auch menschliche. Es waren keine Bilder die ich sah, viel mehr ein entsetzlicher Druck auf meine Seele, ein Gefühl von Leere und Einsamkeit, Wut und Furcht, zu viel für meinen Verstand.

Die Gefühle waren zu mächtig. Meine Jäger merkten schnell, dass etwas anders war und wollten mir helfen. Das war ein gewaltiger Fehler. Ich schaffte es damals nicht, den Rausch zu beenden. Raserei und Kraft schwollen an und ich geriet außer Kontrolle.

Ich habe sie getötet. Meine Freunde, Familie. Meine Stammesgenossen. Mein erster bewusster Kampfrausch dauerte Stunden und nichts Lebendes blieb in meiner Nähe zurück. Ich kann ihre Todesschreie hören, wenn ich die Augen schließe.

Als der Rausch vorbei war, ich wieder die Kontrolle über meinen Körper hatte, konnte ich nicht zurück zum Dorf. Ich floh, ließ zurück was meine Heimat war, und durchquerte die Wüste nach Norden.

 

Wochen später, die ich nur überlebte, weil ich keine andere Umgebung als die Wüste kannte, stapfte ich aus dem Sand hinaus in die Kaiserprovinz N’Tenau. Ich wollte nicht unter Menschen sein, aber eine ungünstige Begegnung mit einer Wachmannschaft später, saß ich mit noch mehr Leichen auf meinem Gewissen in einer Kerkerzelle in Meta‘Tok um auf meine Hinrichtung zu warten.
Dort fand mich Lucius. Er behauptete mir helfen zu können, meine inneren Dämonen zu besänftigen und mich in den Dienst einer guten Sache zu stellen. Tantalus hier und Brigan haben es tatsächlich fertig gebracht, dass ich heute den Kampfrausch kontrollieren kann. Aber ich weigere mich diesen Fluch leichtfertig zu nutzen. Das Wissen um die Hunderten von Leben die ich beendet habe, quält mich im Rausch noch Tausend mal schlimmer.

Wer Brigan ist? Oh, nein, die Geschichte erzähle ich nicht, dass soll Lucius übernehmen. Aber jetzt ist erst einmal der gute Gleichmut dran.