Der Decurio – Die Asche Legion Teil XII

Der Decurio

Nun, endlich darf ich als letzter den Erzähler mimen. Allein, meine eigene Geschichte ist bei weitem nicht so faszinierend, wie die gemeinsame. Lass mich dir also erzählen, wie aus uns wurde, was wir heute sind: Diener des Feuers.

Die vierzehnte Kohorte hatte bereits für vier Jahre bestand, war zu einer festen Größe in der Legion des Kaisers Toherium, als sich die Feinde im Süden erhoben. Spannungen mit der Republik Karnok hatte es waren nichts ungewöhnliches, und als der Ulbuk von Ranesh, der damalige Führer des Landes, starb, errangen Männer die Macht in Ranesh, die dem Kaiserreich ebenfalls feindlich gegenüber standen. Gemeinsam zettelten die äußeren Feinde eine Revolte in der Provinz N’Tenau an – und der Krieg brach aus.
Die Heere der Südländer waren gut ausgestattet und zahlreich, aber weit weniger erfahren als die Legion. Was wir damals nicht wussten, die Karnaker hatten in den vergangenen Jahren die obersten Ränge des Militärs unterwandert, den Krieg bereits zehn Jahre vor seinem Beginn lenkend.
Das Kaiserreich hatte nie eine Chance.

Nach Kriegsbeginn, markiert durch den Aufstand in der Großstadt Meta’Tok, wurden wir in einigen Schlachten als Flankeneinheit genutzt. Hier kam es früh zum ersten Debakel. Wir erhielten Anweisung durch einen Botenreiter, einen Umweg entlang des Flusses Shamkan zu nehmen und uns dann von südlicher Seite dem Roten Tal zu nähern.
Shamkan zu unserer Rechten, wurden wir auf halben Weg vom anderen Flussufer mit Pfeilen beschossen. Wir waren damals zwölf Männer, Brigan Tohm, Priester der alten Götter, gehörte zu unserer Einheit. Eigentlich ein gutes Ziel, aber die Schützen waren keine Meister. Trotzdem vermochten sie Lex am Oberschenkel und Anaxibos an der Schulter zu verletzen. Schnell entfernten wir uns aus ihrer Reichweite, Atreus half mit Sperrfeuer aus, und setzen unseren Weg fort.
Als wir Stunden später endlich am Roten Tal ankamen, war dort niemand. Kein Feind, kein Freund, nur Stille und Hitze. Unvorsichtigere Männer hätten vielleicht einen der dort heimischen Wolfsdrachen – riesige Echsen mit langen Körpern –  aufgeschreckt. Wir jedoch konnten das lange Tal unbehelligt durchqueren. Es gab keine Schlacht dort.
Als wir fast einen ganzen Tag später wieder am Feldlager der Legion ankamen und ich zu den Legaten, den Führern des Heeres, bestellt wurde, traute ich meinen Ohren nicht.
»Warum habt ihr euch im Roten Tal herumgetrieben? Wir hatten mit eurer Unterstützung bei der Schlacht am Sipowald gerechnet, der Kampf war eine Katastrophe«, raunte mich einer der Legaten, ich glaube sein Name war Mhukat Galius, an.
Nachdem ich von dem Boten erzählt hatte, erntete ich nur Kopfschütteln.
»Unfug, blanker Unfug! Es gibt keine Feindbewegung am Roten Tal, zeigt mir den Boten von dem die Nachricht gekommen sein soll.«
Ich beschrieb den Jungen, doch niemand schien ihn zu kennen. Die Legaten gaben mir die Schuld, doch meine Kohorte genoss das Wohlwollen des Kaisers. Sie konnten uns nichts.

Die nächsten Wochen verliefen unauffällig, auch wenn wir in mehr als ein Scharmützel verwickelt wurden. Einmal traf ein verirrter Armbrustbolzen Portius am Arm, bei einem anderen Gefecht erwischte ein Speer Kubwa an der Seite. Nichts dramatisches, doch der Feind schien unsere kleine Gruppe immer wieder ausfindig zu machen. Bald hatte Maengon ein ungutes Gefühl, wir wichen auf seinen Rat hin von den Wegen ab, die uns Boten zutrugen, und die Überfälle wurden seltener.
Der Krieg verlief dennoch nicht günstig, offene Feldschlachten konnten die Legionen zwar für sich entscheiden, doch durch geschickte Plünderungen und Angriffe auf zivile Ziele drohten die Feinde den Nachschub abzuschneiden und das Blatt vollständig gegen uns wenden.
Schließlich trauten wir nur noch Anweisungen, die direkt von den Legaten kamen. Persönlich.
Geholfen hat es nichts.

Es war an einem Spätsommertag, die Sonne war gerade über den Horizont geklettert und schickte warme Strahlen über die dampfende Erde, als ich zum Zelt der Legaten gerufen wurde.
Der Legat Romulus Hyanzinthos Barvorum, den Namen des Verräters werde ich nie vergessen, war als einziger Anwesend.
»Decurio Hadrian, willkommen. Es freut mich, dass Ihr so rasch hergefunden habt.«
Ich verneigte mich angemessen. Barvorum war zwar etwas ungestüm in seinen Befehlen gewesen, aber bis zu diesem Tag hielt ich ihn für einen Treuen Streiter für das Kaiserreich. »Sehr wohl, Legatus Barvorum, wie kann ich dienlich sein?«, antwortete ich ihm.
»Decurio, ich nehme an Ihr kennt die Karte? Die Situation? Wir haben hier … «, er deutete auf verschiedene Positionen auf den Feldkarten die auf dem Tisch lagen » … hier und hier Verbände des Feindes ausgemacht. Seht Ihr die Lücke da, das Tal? Ich vermute hier stimmt etwas nicht. Der Feind scheint unsere Nachrichten abzufangen, Fehlinformationen weiter zu leiten. In diesem Tal gibt es ein Dorf, wichtige Vorratskammern für uns. Ich wünsche, dass Ihr dorthin reist und, falls der Feind dort einfallen will, wie ich vermute … Eure Macht einsetzt.«
»Natürlich, Legatus. Wir brechen gleich auf.«
Bevor ich das Zelt verließ, erhob er erneut die Stimme. »Und Decurio … zu niemandem ein Wort über diese Anweisung. Wir wissen nicht, wo der Feind seine Ohren hat.«

Es klang glaubwürdig, es klang logisch. Also rief ich die vierzehnte Kohorte zusammen und wir machten uns auf den Weg zu dem Tal im Westen der Stadt Oplontis direkt hinter der Grenze zwischen der Provinz N’Tenau und dem Zentrum des Kaiserreichs.
Wir erreichten das Tal gegen Abend und konnten Bewegung im Dorf sehen. Es brannten kaum Lichter, es herrschte keine Aufregung, also nahmen wir an, dass der Feind noch fern war. Trotzdem wies ich Lex und Relix an, die Talkämme abzugehen und sich von den Flanken dem Dorf zu nähern, während wir anderen auf direktem Weg dorthin gingen.
Wir kamen aus östlicher Richtung, die Sonne stand gegen uns und wir hatten schlechte Sicht auf das Dorf. Deswegen erkannten wir erst spät – zu spät – dass die Bewegung nicht von den Dorfbewohnern, sondern von Soldaten des Feindes ausging. Atreus war der erste, dem die Uniformen auffielen.
»Lucius, schau, das sind keine Bürger! Sie tragen Rüstungen der Karnaker.«
»Bist du sicher?«, fragte ich.
»Absolut, ja. Sieh, sie haben uns bemerkt und wollen fliehen «, während er sprach zog Atreus bereits seinen Bogen. »Soll ich das Feuer eröffnen?«
Im Gegenlicht konnte ich noch immer nichts erkennen, aber ich vertraue meinen Männern. »Zum Angriff!«, brüllte ich.

Wir stürmten vor, und als die ersten Häuser ihre großzügigen Schatten auf uns warfen und ich einen guten Blick erhaschen konnte, sah ich etwa fünfzig Soldaten der Südländer, die meisten von ihnen auf der Flucht. Zwei lagen bereits im Morast, gefällt von Atreus Pfeilen, einige wenige drehten sich um und wollten sich uns stellen. Ihr Tod war schnell und grausam.
Drei Dutzend Feinde flohen, aber ich hielt meine Männer von der Verfolgung ab. Lex war bereits wieder zu uns gestoßen, Relix ließ auf sich warten, aber mich trieb etwas anderes um.
»Wo sind die Einwohner? Wo ist das Korn? Zu zweit ausschwärmen und die Häuser untersuchen!«
Ich wartete auf der Straße, verfolgte mit meinem Blickt die Fliehenden die sich schnell dem Ende des Tals näherten und keine Anstalten machten ihren Lauf zu verlangsamen.
Dann kam Relix.
»Ducurio!«, rief er. »Lucius, da oben steht eine Belagerungsmaschine des Feindes. Sie haben Krüge mit Immerfeuer geladen, ich glaube sie wollten das Dorf beschießen.«
»Hast du die Besatzung ausgeschaltet?«
»Und das Spannseil des Katapults durchtrennt, ja«, antwortete Relix sofort. »Aber vielleicht war das nicht …«
Er wurde von Baltazar unterbrochen, der aus einem Haus gestürzt kam. »Lucius! Die Bürger, sie wurden gefesselt.«
Ich wandte mich zu ihm. »Befreit sie «, ordnete ich an, es erschien mir reichlich offensichtlich.
»Da ist noch mehr, in diesem Haus stehen Krüge, es riecht nach Immerfeuer.«
Ich sah die ersten Einwohner aus dem Haus rennen und die Flucht ergreifen, als hinter mir die Stimme von Anaxibos erklang: »Hier ebenfalls, Kubwa befreit gerade die Dorfbewohner.«
Ich beschloss das richtige zu tun. »Verteilt euch, alle«, brüllte ich in der Hoffnung, dass jeder meiner Männer die Anweisung würde hören können. »Verteilt euch und befreit alle Bürger! Sofort!«

Noch während ich zu einem der Häuser lief um selbst Menschen zu befreien, hörten wir ein verräterisches Surren, das meine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitete.
Von verschiedenen Seiten flogen brennende Töpfe durch die Luft. Wo sie einschlugen explodierte das Feuer in alle Richtungen.
Inständig hoffte ich, dass wir schnell genug sein würden. Einige Menschen flohen bereits und ich war zuversichtlich, dass sie gerettet waren. Aber ich hatte keine Vorstellung davon, wieviel Immerfeuer die Südländer in dieses Dorf gebracht hatte. Es war viel. Sehr viel.
Ich befreite hastig die Menschen in dem Haus, in das ich gelaufen war. »Ist noch jemand anders im Haus?«, versuchte ich noch aus den Leuten heraus zu bekommen. Dann sah ich die Töpfe, die vielen Krüge alleine in diesem einen Haus.
Ich hatte mir Sorgen um das Ersticken gemacht, darum, dass wir vielleicht nicht alle aus dem Dorf würden finden können. Aber bei solchen Mengen von Immerfeuer war klar, dass niemand lebendig blieb, sobald die Krüge Feuer fingen.
Ich hörte ein Zischen, eine ferne Detonation. Plötzlich explodierte alles um mich herum.

Ich spürte Hitze, Schmerzen, das Gefühl von verwelkender Haut und Rauschen in den Ohren. Sehen konnte ich nur Rot und Gelb, Orange und dann … Dunkelheit.
In einem Moment war ich in den tiefsten Feuern der Neun Abgründe, im nächsten war alles still, dunkel und ich fühlte nur eine angenehme Wärme.
Dann spürte ich die Stimme des Feuers. Es ist schwer jemandem zu beschreiben wie es war, der nicht selbst in den Flammen stand. Es waren keine Worte, es waren keine Geräusche, ich wusste einfach, fühlte was das Feuer von mir wollte.
Dein Körper verbrennt, du wirst sterben, teilte mir die Stimme mit.
»Ich fühle die Hitze nicht mehr?«, antwortete ich. Ich sprach, weil ich nicht wusste, wie ich mich sonst verständigen sollte.
Ich bin das Feuer, ich allein bestimme über die Flammen, kam die nächste Nachricht.
»Was willst du von mir? Warum … sprichst du mit mir?«, gab ich zurück.
Ich kann dir helfen. Ich kann deinen Körper verschonen und deine Seele auf der Welt wandeln lassen, versprach das Feuer.
Die Hitze kam langsam zurück, Angst keimte in mir auf. »Warum? Was soll ich dafür tun?«, fragte ich.
Du, deine Männer, ich verschone euch, damit ihr fortan mir dient. Ich werde euch mitteilen, was ihr zu tun habt. Ihr werdet meine gesegneten Krieger auf der Welt und mir zu Diensten sein, wann immer ich euch brauche, verlangte das Feuer.
Ich konnte die Flammen wieder spüren. »Ja, Gott des Feuers, verschone mich, und ich diene dir!«, rief ich fast panisch aus.
Nein, nicht Gott des Feuers, nicht Herr des Feuers. Ich bin das Feuer selbst, die reine Kraft von Leben und Vergehen. Schwöre dem Feuer die Treue, eindringlicher als zuvor erklang die Botschaft in mir.
Die Hitze wurde unerträglich und ich schrie: »Ich schwöre ewige Treue dem Feuer!«

Das nächste woran ich mich erinnere, ist, wie ich meine Augen auf einem verbrannten Feld öffnete. Die Gebäude waren bis auf die Grundmauern nieder gebrannt, nur verkohlte Reste egal wohin ich blickte.
Immerfeuer brennt für zwei oder drei Tage, aber von der Wärme die es hinterlassen haben musste, war nichts zu spüren. Baltazar berechnete später, dass wir sieben Tage dort gelegen hatten. Nach und nach standen auch meine Männer wieder auf, entstellt, ebenso wie ich. Lediglich von Brigan fehlte jede Spur. Wir sind uns sicher, dass er seinen Göttern nicht abschwören konnte und das Angebot des Feuers ablehnte.

So waren wir nun elf Krieger, nicht mehr die Diener des Kaisers, nicht mehr an sterbliche Hüllen gebunden, sondern die gesegneten Vertreter des Feuers selbst. In den letzten zwei Jahrhunderten befahl uns das Feuer selten etwas zu tun. Oft Kleinigkeiten, aber manchmal auch das Töten mächtiger Männer und Frauen. In den Jahren dazwischen hatten wir die Gelegenheit Gutes zu tun, für das gefallene Kaiserreich einzustehen. Wir blieben dabei stets im Schatten. Denn unsere Gesichter, die wollte keiner sehen.