Fortsetzungsnovelle Stimmen: Monat 1 – Gefeuert

Heute starte ich meine Fortsetzungnovelle. Der Name ist noch nicht in Stein gemeißelt, der Arbeitstitel lautet: „Stimmen“. Es wird eine Mysterygeschichte, aber so ganz genau, weiß ich dass noch nicht …
Die kommenden zwölf Monate werde ich Teil um Teil der Geschichte hinzufügen, immer mit einer Frage zum Schluss und einer Umfrage für euch. Jeden Monat könnt ihr direkt auf die Handlung Einfluss nehmen. Lest die Geschichte und beteiligt euch an der Umfrage! Viel Spaß.


Fristlose Kündigung. Wenn man es auf einem Brief vom Arbeitgeber liest, klingt es noch bedrohlicher. Als Einschreiben. Es war aber wirklich unfair. Okay, die erste Abmahnung, die hatte Sam sich selbst zuzuschreiben. Was musste er sich auch während der Arbeitszeit im Hinterzimmer das Spiel ansehen? War doch klar, dass seine Chefin ihn erwischen würde.
Immerhin saß er fast eine Stunde in dem Raum.
Ihn jetzt für den Diebstahl von Betriebseigentum zu kündigen – als ob jemand das billige Massageöl vermisst hätte – war einfach nur Schikane. Sams erster Impuls war auf Wiedereinstellung zu klagen. Vielleicht etwas herausschlagen, eine Abfindung oder sowas. Eine kurze Recherche im Internet trieb ihm diese Idee gleich wieder aus.
Sam sah ein, Jessica würde das gar nicht gefallen. Sie hing ihm oft in den Ohren, er sollte sich mehr anstrengen. Einsatz zeigen. Sich nicht so hängen lassen um endlich befördert zu werden. In dem Saftladen? Kam überhaupt nicht in Frage. Das Thema hatte sich jetzt ohnehin erledigt.
Ohne eine echte Antwort auf Jessicas unvermeidlichen Fragen im Kopf, nahm sich Sam ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich aufs Sofa. Es war erst kurz nach Neun, er hatte gut sieben Stunden Zeit sich etwas einfallen zu lassen, und das Bier schmeckte seltsam. Verwirrt drehte er die Flasche – abgelaufen war sie nicht. Dann dämmerte ihm, dass die Aktion jedweder Logik entbehrte. Er trank sein Feierabendbier um acht Uhr abends, auf nüchternen Magen war der Gerstensaft etwas völlig anderes.
Ganz offensichtlich musste er den Kopf klarbekommen, er stand einfach neben sich. Das offene Bier schüttete er weg und stellte die Flasche zum restlichen Pfand. Für einen Augenblick musterte er den Haufen der sich angesammelt hatte und entschied auf dem Weg zur Spielhalle beim Supermarkt vorbei zu gehen. Zehn Euro zusätzliches Pfandgeld könnten eine willkommener Bonus für das Spielen sein.

Der Pfandautomat hatte einen Bon über drei Euro zweiundsiebzig ausgespuckt. Den Abstecher hätte er sich sparen können. Sam wanderte quer durch den halben Stadtteil zu seiner Lieblingsspielhalle und zählte sein Geld. Seine Barschaft war übersichtlich, nicht einmal zwanzig Euro. Sollte er wirklich an die Automaten gehen? Oder sollte er doch seinen Buchmacher Robert anrufen? Fieberhaft überlegte Sam, ob es etwas gab, auf das sich zwanzig Ocken zu setzen lohnen würde. Robert hatte immer etwas.
Zuletzt war Sam leider immer wieder vom Pech verfolgt gewesen. Zum Glück hatte er nur Schulden bei Jessica – er zahlte seit zwei Jahren seinen Anteil an der Miete nicht – und dem Girokonto. Letzteres war ausgereizt, kein Dispo mehr übrig. Und wenn nun die Gehaltszahlungen ausblieben, hatte er ein Problem. Zwanzig Euro zu setzen war ein Tropfen auf den heißen Stein.
Er blieb auf Kurs Spielhalle. All das Grübeln half nichts, er musste einen klaren Kopf kriegen und dafür musste er Spielen. Vielleicht war ihm das Glück heute zugewandt.

An den Automaten war Sam schon immer ein Systemspieler gewesen. An einem Automaten spielte er genau zehn Euro weg. Nicht mehr, nicht weniger. Wenn er kleine Beträge gewann, wanderten die in den Pool und er spielte länger. Wenn er große Beträge gewann – besser gesagt, wenn er endlich mal Glück haben sollte und einen großen Betrag gewinnen würde – legte er das Geld zur Seite und feierte den Triumph.
Die ersten Zehn Euro wanderten ohne nennenswerte Erfolge in die Western-Roulette-Maschine. Sam wählte die Science-Fiction-Maschine als zweiten Versuch. Zunächst schien seine Pechsträhne anzuhalten, doch dann bekam er eine doppelte Serie mit Bonusspiel. Einhundertvierzig Euro. Sam war hin und her gerissen. Ob er schon mal so viel an einer der Maschinen gewonnen hatte? Er konnte sich nicht erinnern.
Sein Finger schwebte über dem ›Auszahlen‹ Knopf. War das ein Triumph? Der Jackpot auf dem Automat waren fünfhundert Euro. Mehr als dreimal so viel. Noch einen Moment zögerte er, seine Hand vor- und zurückziehend. Dann startete er das nächste Spiel.

Einhundertvierzig Euro an einem zwanzig Cent Automat zu verspielen dauert. Sam hatte längst jedes Zeitgefühl verloren, aber als der Zähler ihm schließlich ›0 Spiele‹ anzeigte spürte er augenblicklich ein starkes Hungergefühl und einen sehr trockenen Hals. Wie spät war es? Er schaute zum Schalter, der Angestellte hatte jedenfalls gewechselt. Er zog sein Handy heraus und erschrak. Viertel vor Acht. Und was er Jessica erzählen sollte, wusste er immer noch nicht.

»Hey Schatz, was bist du heute so spät?«, säuselte Jessicas Stimme ihm entgegen, als er die Wohnungstür aufschloss. »Hab gesehen, du hast den Pfand weggebracht. Voll gut.«
»Ja … der Pfand …«, murmelte Sam.
»Was hast du gesagt?«, fragte sie, als sie aus der Küche kam. Sanft legte sie ihre Hand auf seine Schulter und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
Sam hatte keine Idee, welche Ausrede er auftischen sollte. Darum lächelte er und hoffte, sie würde über das Thema einfach hinweggehen.
»Ich find’ es toll, dass du endlich Einsatz zeigst. Wird aber auch langsam Zeit. Oder hat deine Chefin dich dazu verdonnert?«
Glaubte sie, er hätte Überstunden gemacht? Auf den Einfall wäre Sam wirklich nicht gekommen.
»Uhh … naja, du hast mich eben überzeugt, irgendwann …«
»Lügen!«, brüllte sie plötzlich. Dann hielt sie ihm das Einschreiben unter die Nase. »So unordentlich kannst echt nur du sein, nicht einmal die Kündigung wegzuschmeißen bevor du das Haus verlässt. Hast du gedacht ich bekomm das nicht mit, wenn du auf einmal keinen Job mehr hast? Und warum überhaupt, da steht was von Eigentum des Arbeitgebers. Was hast du angestellt?«
Nach den fast zwei Jahren, die Jessica und er zusammen waren, wusste Sam, dass er seine Freundin jetzt besser nicht anfassen sollte. Also ging er vorsichtig an ihr vorbei und versuchte einen kühlen Kopf zu behalten.
»Weißt du noch, als du vor ein paar Monaten so starke Verspannungen hattest? Ich hab dich massiert … das Öl war von der Arbeit.«
Eine Portion Wahrheit würde den Rahmen für seine Geschichte aufrechterhalten.
»Du klaust Massageöl?«, raunte sie, während ihr Blick verwirrt durch das Zimmer glitt. »Und weil du vor einem halben Jahr was gestohlen hast, entlassen sie dich jetzt?«
Schwer seufzend ließ er sich auf die Couch fallen. Es war nicht einmal gespielt, das alles strengte ihn furchtbar an.
»Sei nicht albern, das Öl war alle und ich hab vorgestern neues holen wollen. Da hat mich die Alte erwischt.«
»Echt, Sam, das geht nicht. Dass ich die Miete für dich stemmen muss, ist eine Sache …«
Sie schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme. Ihr Blick enthielt Enttäuschung, aber Sam wusste, dass sie eigentlich darauf stand, sich ihm so überlegen zu fühlen.
»Aber ich kann nicht auch noch deinen Studienkredit für dich übernehmen.«
Ja, der Studienkredit, auch so eine Portion Wahrheit. Er hatte studiert, aber nur zwei Semester und nicht sieben wie Jessica glaubte. Einen Kredit hatte er nie, aber solange Jessica das glaubte, konnte er sein ganzes Einkommen in seine Leidenschaft stecken. Und wenn er schließlich den großen Wurf landen konnte, würde er sie mit schönem Schmuck milde stimmen. Oder so. Der Plan war nie so richtig ausgereift, hauptsächlich weil seine Gewinne einfach zu gering ausgefallen waren.
»Das heißt du brauchst einen neuen Job und zwar bald. Ganz ehrlich, wo warst du heute überhaupt, du hättest bestimmt fünf, sechs Bewerbungen fertig machen können?«
»Ich weiß nicht so genau … der Brief heute früh hat mich echt aus dem Tritt gebracht. Damit hab’ ich einfach nicht gerechnet.«
Sie starrte ihn ungläubig aus ihren bernsteinfarbenen Augen an. Er liebte diesen Glanz.
»Dann bist du einfach durch die Stadt gelaufen. Stundenlang.«
Zur Antwort zuckte er nur mit den Schultern. Jessica seufzte.
»Hilft alles nichts. Du, mein Freund, gehst jedenfalls erst ins Bett, wenn du mindestens drei Bewerbungen geschrieben hast!«
Er konnte nur ungläubig zu ihr hoch schauen.
»Du hast mich verstanden. Musst ja morgen nicht früh raus. Und wenn du dann aufwachst marschierst du sofort zum Arbeitsamt.«
Sie ließ ihre Anweisungen einen Moment wirken, dann fuhr sie versöhnlich fort: »Hast du Hunger? Ich mach uns schnell ein überbackenes Sandwich.«

Eine Stunde später lag Jessica im Bett, während Sam mit dem Laptop auf dem Schoß auf der Couch saß. Er kannte seine Freundin gut genug um zu wissen, dass sie morgen überprüfen würde, ob er tatsächlich Bewerbungen geschrieben hatte. Ihren Kontrollwahn ignorierte er genau so, wie sie seine Freude am Glücksspiel ausblendete. So funktionieren Beziehungen nun einmal.
Während er im normalen Browser ein Jobportal öffnete, rief er in einem Inkognitobrowser seine Lieblingswettseite auf. Sie sollte nichts davon mitbekommen. Alibimäßig – welche Frau glaubt schon, dass der Freund sich die ganze Nacht mit der Jobsuche beschäftigt – öffnete er noch eine Pornoseite für Jessica.
Heute Morgen hatte er in seinem Schockzustand das Arbeitslosengeld ganz vergessen. Das könnte er auf jeden Fall setzen – immerhin hatte er hart dafür geschuftet. Also beschäftigte er sich mit den laufenden Spielen in Übersee und setzte kleine Beträge hier und da. Collegebaseball. Eigentlich nicht sein Lieblingssport, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen.
Gewinne blieben aus und Stunden gingen ins Land, bis ihm bewusst wurde, dass er um die Bewerbungen nicht herum kam. In die Maske vom Jobportal füllte er ›Physiotherapeut‹ und ›30 km Umkreis‹ ein, klickte auf die ersten drei Ergebnisse ohne genauer zu schauen und wollte es hinter sich bringen. Dann fiel ihm das vierte Ergebnis auf. Es war farblich hervorgehoben. Wie eine Werbung.
»Was soll’s, vielleicht ist Jessy dann stolz …«, murmelte er zu sich selbst während er auch den bunten Link anklickte.
Eilig editierte er seinen alten Lebenslauf, trug seine letzte Stelle ein und aktualisierte seine Adresse. Das Anschreiben bekam eine ähnliche Politur, den Text übernahm er ohne echte Anpassung. ›Teamgeist‹, ›Serviceorientierung‹ und ›Einsatzbereitschaft‹ waren noch immer seine Stärken, ›berufliche Veränderung‹ das Motiv für die Bewerbung. Sam glaubte ohnehin nicht, dass sich die Personaler die Bewerbungsschreiben durchlasen. Qualifikation? Hatte er und das Zeugnis wurde artig angehängt. Alles andere war doch unwichtig.
In Windeseile hatte er vier Bewerbungen fertig, hochgeladen, abgeschickt. Und konnte sich wieder seinen Wetten widmen.

Als er Mitten in der Nacht ins Bett krabbelte, murmelte Jessica schlaftrunken: »Und has’ du drei …«
»Ich hab sogar vier geschrieben.«
»Brav …«, nuschelte sie und tätschelte ihm den Kopf wie einem Chihuahua.

Am Folgetag brachte er den lästigen Besuch beim Arbeitsamt hinter sich. Da war man leider wenig zugänglich für seine Situation und erläuterte Sam, dass dieser Kündigungsgrund eine Sperre nach sich ziehen würde. Also erstmal kein Geld vom Amt. Zum Sozialamt könnte er natürlich gehen, aber die zahlen auch nicht, solange Jessica in Lohn und Brot steht. Verheiratet oder nicht.
Als wäre das nicht schon schlimm genug, hatte er gestern Abend fünfhundert Euro verspielt. Fast war er geneigt in die Kirche zu gehen und zu beten, hauptsächlich weil seine Mutter das früher so gemacht hatte, nicht weil er daran glaubte, da reichte ihm das Glück endlich die Hand zur Versöhnung – in Form einer Sprachnachricht.
Seinen Bekannten Jürgen, von dem sich Sam ziemlich sicher war, dass er nicht tatsächlich Jürgen hieß, hatte er vor Jahren in einer Sportbar kennen gelernt. »Hey Sam, lang nichts gehört. Ich hab was für dich. Einen Tipp. Bombensichere Sache. Quote ist zwar nur vier zu eins, aber hey, geschenktes Geld, nicht wahr? Heute Nachmittag spielt in Bulgarien Lokomotive Sofia gegen PFC Montana, das Spiel ist getürkt und geht vier zu zwei für Sofia aus. Kannst dich ein anderes Mal revanchieren.«
Nicht lange fackelnd, wählte Sam die Nummer von Robert. Jürgen hatte ihm schon einmal satte dreitausend Euro mit einem genialen Tipp eingebracht. Aber ohne Reserven wollte Sam nicht zu tief in die Tasche greifen.
»Hey Robert? … Ich will auf bulgarischen Fußball wetten … Ja, zweitausend Euro auf Sofia gegen Montana, vier zu zwei … Kann dir doch egal sein ob ich Insiderwissen habe, steht die Wette? … Welche Quote krieg ich? … Okay, geht klar. Bis dann.«
Die Quote war etwas schlechter, dafür konnte sich Sam auf seinen Buchmacher verlassen. Zufrieden suchte er den Stream für das bulgarische Spiel im Internet und verbrachte die nächsten Stunden auf der Couch.

»Gol! Gol! Tri do nula za Montana!«, jubelte der bulgarische Kommentator drei Minuten vor Schluss. Sam wurde schlecht.
Er hatte schon Geld verloren, natürlich, oft. Aber so katastrophal wie heute stand es noch nie für ihn. Zweieinhalb Tausend … eigentlich drei Tausend, immerhin musste der Dispozins und die laufenden Kosten bezahlt werden. Seine Hände zitterten.
Das Handy klingelte. Robert. ›Fuck‹, ging es Sam durch den Kopf. Er war am Arsch.
»Hey … Ja, natürlich, klar … Weißt du ich brauche vielleicht etwas Zeit … Nein, das verstehe ich natürlich … Übermorgen? Du kennst mich ich habe immer … Ein Kredit von dir? … Acht Prozent jährlich klingt … Achso, acht Prozent monatlich … Weißt du ich, ich melde mich morgen, meine Freundin kommt gerade zur Tür rein.«
Er war am Arsch.


Die Frage für euch: Wie kommt Sam an das Geld? Nimmt er das Angebot des Buchmachers an und zahlt die massiven Zinsen? Oder kriecht er bei Jessica zu Kreuze und bittet um das Geld? Die Abstimmung läuft bis zum 31.07.

Wie kommt Sam an das Geld?

  • Das Angebot des Kredithais (89%, 8 Stimmen)
  • Seine Freundin Jessica anbetteln (11%, 1 Stimmen)

Stimmen: 9

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Ein Kommentar

  1. Hallo Francis
    Das ist ja mal eine geniale Idee! Die Leser mitentscheiden zu lassen wie es weiter geht.
    Danke!
    Gruß Denise

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