Kurzgeschichte: Die Jagd

Aus der Sicht des Menschen:

Heute bin ich, endlich, wieder in voller Kluft eingetaucht. Neopren-Shorty und Brille, Flasche mit angereicherter Luft und Druckventilen, Atemmaske und natürlich Blei. Man sollte meinen ein so fetter Bauch braucht kein Blei mehr, aber da ist irgendwas mit dem Auftrieb. Hab’s auch nicht verstanden. Bewaffnet mit der Unterwasserkamera geht es vom Steg herab direkt ans Riff. Heute schieße ich ein Meisterwerk! Nicht wie beim geplatzten Deal mit Jenkins.

Dieses Atoll ist herrlich. Blubber-Blasen steigen auf, dazwischen erscheinen Unmengen an Farben, Fische wohin ich sehe. Einer schöner als der Nächste. Witzig… sowas Ähnliches hab ich damals auch von meiner Exfrau gesagt.
Das Meer rauscht um mich herum, und ich taumle an der Pracht entlang. Vor lauter Auswahl, vor lauter Farbenspiel und Leichtigkeit des Seins kann ich mich nicht entscheiden von welchem Tier ich mein Foto schießen mag. Es muss etwas Besonderes werden. Immerhin will ich, muss ich meinem Vater beweisen, muss allen beweisen, dass ich doch zu mehr tauge als Unterhalt blechen und im Büro vergammeln.

Ein Papageienfisch. Oder sowas in der Art. Leuchtend und exotisch. Bestimmt vierzig Zentimeter lang, aber für die Berichte daheim vor den Kollegen darf es gerne auch ein bisschen mehr sein. Was die staunen werden, wenn ich mit einem Bild von so einem prachtvollen Geschöpf vor ihnen stehe. Moment, wo ist er hin?

Du entkommst mir nicht, mein Freund. Ich kann deinen Schnabel hören, wie er sich an den Korallen labt. Hast du dich hinter einen Felsen geschoben, ohne mir Bescheid zu geben? Dabei setze ich doch auf dich, kleiner Kerl. Sie sollen nicht wieder über mich lachen, wie nach dem Skiurlaub mit dem Gipsbein oder der Radtour mit dem Dauerregen. Diesmal will ich Beifall und… wo ist er jetzt geblieben?

Nun aber. Wolltest wohl nichts mit dem dicken Versager zu tun haben. Witzig… sowas Ähnliches hat meine Exfrau damals auch von mir gesagt.

Komm schon näher, ich will nur ein gutes Foto von dir. Vielleicht jetzt… nein, weggedreht. Wie ein Sack aus Fleisch und Fett torkele ich dir nach, während du pfeilschnell um eine Ecke biegst und hinter der nächsten Anemone hinabtauchst. Schwerfällig folge ich, aber komm doch nicht nach. Beinahe wie bei den Kollegen daheim. Man weiß nicht wie, aber bei jeder Beförderung sind sie schneller und wendiger als ich. Und wo bist du nun?

Unter einer breiten Steinkoralle ragt dein Kopf hervor. Längst ist mir klar, der Grund für deinen Unwillen, ist die Summe meiner Unzulänglichkeiten. Wer wird schon gern Trophäe eines derart miesen Jägers? Eine Chance habe ich noch, dann ist die SD-Karte voll mit Bildern deiner Schwanzflosse, von oben verschwommen oder hinter einer Biegung verschwindend. Einmal muss doch mein Tag kommen, mein Moment. Ich drücke ab… und verziehe. Mist. Jemand hat mich zurückgezogen. Es ist der Tauchguide, die Nullzeit ist rum, wir müssen hoch. Wieder versagt. Sollte mich eigentlich nicht überraschen. Ich frage mich bloß, während ich dir nachblicke und den Rest des bunten Treibens achtlos vorbeiziehen lasse: Hast du mich mit Absicht gequält?

 

Aus der Sicht des Fisches:

Blub.